Haftet die Airline bei einem Reifenschaden?
Diese Frage stellte sich auch das Landgericht Stuttgart im Rahmen des Urteils vom 07.12.2017 (Az. 5 S 103/17).
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Das Landgericht Stuttgart entschied, dass die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch einen Fremdkörper auf Start- und Landebahn keinen außergewöhnlichen Umstand i. S. d. Art 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-VO darstellt. Demzufolge hat die Fluggesellschaft die Passagiere für die durch diesen Zwischenfall entstandene Verspätung zu entschädigen.
Der klagende Passagier hatte bereits in erster Instanz vor dem Amtsgericht Nürtingen (Urteil vom 28.03.2017, Az. 10 C 1977/16) Recht bekommen. Die Berufung der beklagten Fluggesellschaft wurde vom Landgericht Stuttgart zurückgewiesen.
Der Entscheidung zu Grunde lag ein Vorfall vom 20.04.2016 auf dem Flughafen von Mallorca. Der Kläger hatte einen Flug von Mallorca nach Stuttgart gebucht, der wegen des besagten Reifenschadens eine Verspätung von mehr als 7 Stunden aufwies.
Die beklagte Fluggesellschaft lehnte eine Entschädigungszahlung ab und berief sich auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Artikel 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO.
Das Amtsgericht Nürtingen hatte der Klage stattgegeben. Der Anspruch des Klägers sei nicht nach Artikel 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-VO ausgeschlossen, da der von der Beklagten behauptete Radschaden keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Verordnung darstelle. Es handle sich nicht um ein Vorkommnis, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sei. Die von Gegenständen auf Start- und Landebahn ausgehende Gefahr stelle ein wohlbekanntes, häufiges Phänomen dar, das gerade nicht abseits des Gewöhnlichen liege, sondern vielmehr untrennbar mit der Luftfahrt verbunden sei. Dies zeige sich bereits daran, dass Flughafenbetreiber regelmäßig Reinigungen von Start- und Landebahnen durchführten.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte den Klagabweisungsantrag weiter. Zu Unrecht sei ein außergewöhnlicher Umstand verneint worden. Rechtsfehlerhaft sei es, das Kriterium des „Teils der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens“ als entscheidenden Auslegungsmaßstab für das Tatbestandsmerkmal des „außergewöhnlichen Umstands“ heranzuziehen. Auf die Häufigkeit des Eintretens bestimmter Problematiken komme es gerade nicht an, indiziell sei daher auch nicht, dass Flughafenbetreiber durch Kontrollen der Fahrbahnen Beschädigungen durch dort befindliche Fremdkörper regelmäßig zu verhindern suchten. Entscheidend sei vielmehr, ob das entsprechende Ereignis ein beherrschbares Vorkommnis sei – was vorliegend nicht der Fall sei.
Auch das Berufungsgericht folgte dieser Auffassung der Fluggesellschaft nicht.
Streitpunkt des vorliegenden Falles war damit – wie so oft – die Definition des Begriffs der „außergewöhnlichen Umstände“.
Zur Auslegung dieses Begriffs bezieht sich das Landgericht Stuttgart völlig zurecht auf die Erwägungsgründe Nr. 14 und 15 der Fluggastrechte-VO. Dabei beachtet das LG Stuttgart auch den vom EuGH aufgestellten Grundsatz, nach dem die Tatbestandsmerkmale, die zu einem Entfallen der Entschädigung führen, eng auszulegen sind, um für die Passagiere ein hohes Schutzniveau sicherzustellen. Im Rahmen dieser engen Auslegung kommt es nach der Rechtsprechung des EuGH im Ausgangspunkt darauf an, ob der die Verzögerung verursachende Umstand untrennbar mit dem System zum Betrieb eines Flugzeugs verbunden ist oder seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar ist (siehe EuGH, Beschluss vom 14. November 2014 – C-394/14). Entsprechend sind von außen einwirkende Umstände, wie ein Sabotageakt oder eine terroristische Handlung, Naturereignisse wie ein Vulkanausbruch oder eine behördliche Anordnung, die Auswirkungen auf den Flugbetrieb hat, außergewöhnlichen Ereignisse.
Das Landgericht Stuttgart führt zur Begründung seiner Entscheidung auch das Urteil des EuGH zu der Frage, ob eine durch ein Treppenfahrzeug verursachte Beschädigung eines Flugzeuges als außergewöhnlicher Umstand einzuordnen ist, an. Der EuGH stellt dabei ausschlaggebend darauf ab, ob das schädigende Fahrzeug bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt wird, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben (EuGH – Siewert/Condor, Urteil vom 14.11.2014, Rs. C-394/14). Ebenso hat auch der BGH auf dieser Grundlage entschieden, dass für die Kollision mit einem Gepäckwagen nichts anderes gelte, denn auch ein solcher werde bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt. Ein Luftfahrtunternehmen sei deshalb in vergleichbarer Weise regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus dem Einsatz solcher Fahrzeuge ergeben (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2016 – X ZR 75/15).
Das LG Stuttgart wendet sodann die in den genannten Entscheidungen entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall an:
„Die Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den vorliegend streitentscheidenden Umstand eines Fremdkörpers auf Start- und Landebahn ergibt zunächst, dass ein solcher zwar gleichsam „von außen“ auf den Luftverkehr einwirken mag. Allerdings ist der Umstand nicht zu vergleichen mit den in den Erwägungsgründen (14) und (15) der FluggastrechteVO genannten Vorkommnissen wie beispielsweise politischer Instabilität oder Wetterbedingungen; ebenfalls nicht zu vergleichen ist er mit den vom EuGH (a.a.O.) angeführten Beispielen wie terroristischen Handlungen oder Vulkanausbrüchen. Nach Ansicht der Kammer liegt im Fall der Beschädigung eines Flugzeugreifens durch einen Fremdkörper auf Start- oder Landebahn vielmehr (noch) eine untrennbare Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs vor. Denn naturgemäß müssen Flugzeuge Start- und Landebahnen nutzen, Luftfahrtunternehmen sind deshalb in vergleichbarer Weise regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus der Benutzung der Fahrbahnen ergeben. Dass sich aber auf diesen Fremdkörper befinden, ist unbestritten häufig, weshalb Flughafenbetreiber die Bahnen regelmäßig reinigen. Die Verschmutzung der Fahrbahnen ist damit ein Umstand, den Luftfahrtunternehmen bei deren – notwendigen – Benutzung üblicherweise hinnehmen müssen. Das Vorhandensein von Fremdkörpern auf Start- und Landebahnen ist folglich – vergleichbar der Benutzung von Treppenfahrzeugen oder Gepäckwägen – untrennbar mit dem System zum Betrieb eines Flugzeuges verbunden. (…)
Dass die Luftfahrtunternehmen – wie die Berufung anführt – das Vorhandensein von Fremdkörpern schließlich nicht beherrschen könnten, da das Reinigen der Fahrbahnen den jeweiligen Flughafenbetreibern obliege, vermag ebenfalls keine andere Bewertung begründen. Hierauf kommt es im Ergebnis gar nicht an; wie dargestellt, ist die Beherrschbarkeit einer Gefahr nicht das letztausschlaggebende Kriterium.“
Die Entscheidung des LG Stuttgart überzeugt. Ein außergewöhnlicher Umstand liegt im vorliegenden Fall bereits schon deshalb nicht vor, da für die Qualifizierung eines Umstands als „außergewöhnlich“ maßgeblich ist, dass er sich von denjenigen Ereignissen unterscheidet, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss. Es geht dabei um die Frage, wessen Risikosphäre das Ereignis zugerechnet wird. Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es im vorliegend Fall an einem außergewöhnlichen Umstand. Dies insbesondere auch aufgrund der vom EuGH geforderten engen Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“.
Das LG Stuttgart hat die Revision ausdrücklich zugelassen. Sollte es zu einer Entscheidung des BGH im Rahmen der Revision kommen, so ist unserer Einschätzung nach davon auszugehen, dass das Urteil des LG Stuttgart aufrecht erhalten bleibt.
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