Prüfungsunfähig – und nun?
*** Disclaimer: wir wollen niemanden zur Vortäuschung anstiften! ***
Wer in Deutschland krankheitsbedingt von einem Prüfungsversuch zurücktreten möchte, tut besser daran, eine körperliche Erkrankung als Grund anzugeben. Psychische Erkrankungen werden häufig von Prüfungsämtern und Gerichten nicht als Grund anerkannt – jedenfalls ist aber eine aufwendige Diagnosebeschreibung durch den Arzt notwendig. Am Ende entscheidet nämlich nicht das amtsärztliche Attest, sondern die Prüfungskommission über die Prüfungsfähigkeit. Die amtsärztliche Feststellung, nicht prüfungsfähig zu sein, bedeutet nicht, dass Prüfungsteilnehmer nicht prüfungsfähig sind. Besonders hinsichtlich psychischer Erkrankungen führt das zu für Prüfungsteilnehmer:innen nur schwer verständlichen Ergebnissen.
Die Prüfungskommissionen prüfen zunächst, ob es sich um ein „Dauerleiden“ handelt. Ein solches führt nach der Rechtsprechung nicht zu einer akuten krankheitsbedingten Leistungsminderung, die als Rücktrittsgrund akzeptiert werden könnte, sondern bestimmt die dauernde Leistungsfähigkeit des Prüflings (bspw. OVG NRW, NJW 2020, 1084 Rn. 35). Eine fortbestehende Depression kann daher nicht anerkannt werden, es sei denn, der Arzt hält in seiner Diagnose deutlich fest, dass es sich um einen Krankheitsschub oder ähnliches handelt.
Aber auch akute psychische Leiden werden von Prüfungskommissionen nicht zwingend anerkannt. So wird in den Ladungen zu den Juristischen Staatsexamina explizit darauf hingewiesen, dass „in der Regel bei Prüfungsangst und Examens-Psychose eine Prüfungsverhinderung im Rechtssinne nicht vorliegt.“ Selbst bei Vorlage eines amtsärztlichen Attests über die Prüfungsunfähigkeit tragen Prüfungsteilnehmer das Risiko, dass die Erkrankung nicht als Hinderungsgrund anerkannt wird. Derart deutlich dürfte der Hinweis für andere Prüfungen nicht ausfallen. Dennoch gilt Vergleichbares für so gut wie alle Prüfungen. Die Prüfungskommission prüft eigenständig anhand des Attests, ob ein Hinderungsgrund vorlag. Diese muss also in der Lage sein, die Prüfungsunfähigkeit anhand der im Attest angegebenen Befundtatsachen festzustellen. Dabei werden höhere Anforderungen gestellt, als an eine übliche ärztliche Diagnose, weil für Mitglieder der Prüfungskommission, die (in aller Regel mit Ausnahme von medizinischen Prüfungen) keine Ärzte sind, und Verwaltungsrichter klar sein muss, inwiefern eine Prüfungsunfähigkeit vorlag und wie diese festgestellt wurde. Der VGH Baden-Württemberg hält insoweit nicht für ausreichend, wenn sich die Diagnose „im Wesentlichen auf geschilderte Erinnerungen des Klägers“ stützt (vgl. VGH Baden-Württemberg Beschluss v. 26.04.2021 – 9 S 1029/21). Dass dies bei psychischen Erkrankungen zu erheblichen Problemen führt, liegt auf der Hand: Die Diagnose von psychischen Erkrankungen erfolgt anhand des Erlebens und der Empfindungen der betroffenen Person. Damit beruht die Diagnose zwingend auf deren Erinnerungen. Eine Art „Fieber-Thermometer“ wurde für psychische Erkrankungen leider noch nicht erfunden.
Selbst wenn die psychische Erkrankung an sich als Hinderungsgrund anerkannt würde, ist bei Rücktritt von Prüfungen, die bereits begonnen haben, Vorsicht geboten: Prüfungsteilnehmer, die wussten, dass sie erkrankt sind, haben gegebenenfalls eine bewusste Risikoentscheidung getroffen (vgl. VGH Baden-Württemberg Beschluss v. 26.04.2021 – 9 S 1029/21). An dieser müssen sie sich grundsätzlich festhalten lassen, wenn sie nach Beginn der Prüfung feststellen, dass sie nicht teilnehmen können. Sie können nicht mehr zurücktreten und müssen das Prüfungsergebnis akzeptieren.
Wer sich also auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sieht, eine Prüfung abzulegen, tut besser daran, sich (plötzlich) ein Bein zu brechen oder – weniger schmerzhaft – Durchfall zu haben. Für Durchfall kann es viele Gründe geben (Magendarminfekte, bestimmte Lebensmittel, Nahrungsmittelunverträglichkeiten etc.), einige davon sind in der Apotheke oder im Drogeriemarkt erhältlich. In unkomplizierten Fällen (wenn nur der Verdacht auf eine normale Magen-Darm-Infektion vorliegt) werden in der Regel keine weiteren ärztlichen Untersuchungen vorgenommen.
Durchfall ist außerdem eine den Prüfungskommissionen bekannte und für diese verständliche Erkrankung. Zweifel, ob eine an Durchfall erkrankte Person nicht doch prüfungsfähig ist und an (häufig mehrstündigen) Prüfungen teilnehmen kann, werden selbst Prüfungskommissionen und Verwaltungsgerichte kaum begründen können.
Guten Tag,
Ich möchte Ihnen fragen ob es Rechtsprechungen zu ähnlichen Fällen geben, in denen die Frage der rechtzeitigen Vorlage eines ärztlichen Attests für eine Prüfungsentschuldigung behandelt wird?