Der Dieselskandal – muss man bei Rückgabe die gefahrenen Kilometer bezahlen?
Ist eine Nutzungsentschädigung bei Rückgabe des manipulierten Pkw für gefahrene Kilometer geschuldet? Wenn ja: wieviel Nutzungsentschädigung kann der Hersteller verlangen?
Wir erklären die viel diskutierte Frage der Nutzungsentschädigung im Zusammenhang mit dem Abgasskandal/Dieselskandal.
Zumeist klagen die Käufer gegen VW auf Rückzahlung des Kaufpreises. Zentraler Streitpunkt war dabei bislang die Rechtsfrage, ob das deutsche Deliktsrecht einen solchen Anspruch ermöglicht. Andere Fragen wie z. B. Verzinsung und Nutzungsersatz wurden von den Gerichten bislang kaum bis überhaupt nicht beachtet. Dabei hat sich mittlerweile herauskristallisiert, dass für viele Käufer eines VW Fahrzeugs die Frage nach der Höhe des Nutzungsersatzes entscheidend dafür ist, wie lukrativ und lohnend die Klage gegen VW ist.
So hat sich an vielen Landgerichten, welche Ansprüche gegen VW auf Rückzahlung des Kaufpreises für begründet erachten, die Rechtsansicht etabliert, die Nutzungsentschädigung ausgehend von den gefahrenen Kilometern des Betroffenen und dem gezahlten Kaufpreis unter gleichzeitiger Berücksichtigung einer angenommenen Gesamtfahrleistung von 250.000 km zu berechnen. Die so errechnete Nutzungsentschädigung wird dann im Urteil vom Kaufpreis abgezogen. Den Rest bekommt der Kläger von VW ausbezahlt.
Diese Berechnungsmethode bewirkt, dass VW Kunden, welche mit dem Fahrzeug über die Jahre hinweg wenig Kilometer gefahren sind, in der Regel einen weit über Marktwert des Fahrzeugs liegenden Betrag erhalten, während andere Geschädigte, welche über einen kurzen Zeitraum viele Kilometer gefahren sind, genau prüfen sollten, ob sie im Falle eines positiven Urteils überhaupt den aktuellen Marktwert des Fahrzeugs zurückerhalten würden.
Tipp: In solchen Fällen sollte geprüft werden, ob nicht von Anfang an nur ein durch den Abgasskandal begründeter Minderwert des Fahrzeugs gegen VW eingeklagt wird.
Bislang wenig „kundenfreundlich“ ist die Tatsache, dass die Anzahl der Landgerichtsurteile, welche eine Pflicht zur Nutzungsentschädigung komplett versagen, sehr überschaubar ist.
So sind bislang lediglich Urteile des LG Augsburg sowie des LG Halle bekannt (LG Augsburg, Urteil v. 5.12.2018 – 21 O 3267/17; LG Augsburg, Urteil v. 14.11.2018 – 21 O 4310/16; Urteil LG Halle – 5 O 109/18), in welchen zu Gunsten des geschädigten VW-Kunden entschieden wurde, dass sich der Kunde keinen Nutzungsersatz abziehen lassen muss. Dabei haben sich zuletzt die Stimmen von Vertretern gemehrt, die die aktuellen Rechtsprechungstendenzen für kritisch erachten. So hat sich Professor Dr. Michael Heese von der Universität Regensburg in einem Aufsatz dafür ausgesprochen, keine Nutzungsentschädigung zu Lasten der Kläger zu berücksichtigen (NJW 2019, 257). Professor Dr. Heese argumentiert, dass der VW – Konzern, welcher in vorsätzlicher Weise betrogen und manipuliert hat, nicht auf Kosten des Käufers entlastet werden dürfe. Das grundsätzlich geltende Bereicherungsverbot im deutschen Schadensersatzrecht müsse im Abgasskandal hinter die Präventionsfunktion des Deliktsrechts zurücktreten. Professor Dr. Thomas Riem von der Universität Passau hält diese Begründung zwar nicht für überzeugend, allerdings sieht auch er Probleme bei der aktuellen Berechnung des Nutzungsersatzes in den Urteilen der Landgerichte (NJW 2019, 1105). Der Rechtsanwalt Professor Dr. Jan Bruns hält die meisten Urteile ebenso in puncto Nutzungsersatz für wenig überzeugend und spricht sich für eine weitere Differenzierung abhängig vom Zeitpunkt des Annahmeverzugs aus.
Dies hängt insbesondere von der angenommenen Gesamtfahrleistung ab. Diese sollte aus Sicht des Klägers so hoch wie möglich sein. Tatsächlich ist daher – wenn man eine Nutzungsentschädigung für gerechtfertigt hält – bereits an der von vielen Landgerichten angenommenen Gesamtfahrleistung von lediglich 250.000 km korrigierend anzusetzen. Diese ist deutlich zu niedrig angesetzt. Zuletzt hat das OLG Köln die Gesamtfahrleistung auf 500.000 km geschätzt und zur Begründung die tatsächlich erbrachte Gesamtfahrleistung von realen Dieselfahrzeugen von jeweils knapp 500.000 km angeführt. Die Annahme von 500.000 km Gesamtfahrleistung gegenüber 250.000 km führt dazu, dass sich die zu berechnende Nutzungsentschädigung zu Lasten des Klägers halbiert.
Zudem ist es falsch, den Nutzungsersatz auf Grundlage des tatsächlich gezahlten Kaufpreises zu berechnen. Die Landgerichte ziehen hier regelmäßig aus dem Deliktsrecht eine Parallele ins kaufrechtliche Rücktrittsrecht (§ 346 BGB), für welche es jedoch keine Grundlage gibt. Tatsächlich ist – um eine übermäßige Belastung des Klägers zu vermeiden – ein um 10 % bis 30 % geminderter Kaufpreis anstatt des gezahlten Kaufpreises anzusetzen, da das Fahrzeug infolge der Manipulation während der Nutzungsdauer beim Kläger weniger Wert war als tatsächlich angenommen und bezahlt wurde. Auch dies führt zu einer Reduzierung der Nutzungsentschädigung, was von Klägern im Klageverfahren vorgebracht werden sollte.
Tipp: Sollten Sie in erster Instanz vor dem Landgericht gewonnen haben, jedoch eine zu hohe Nutzungsentschädigung bezahlen müssen, so sollten Sie umgehend prüfen lassen, ob wegen der Nutzungsentschädigung die (teilweise) Berufung eingelegt werden sollte. Beachten Sie dabei die kurze Berufungsfrist von einem Monat ab Zustellung des Urteils des LG.
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