UPDATE: Keine Entschädigung bei Reifenpanne?!
So lautet das Urteil das EuGH. Doch liegt es richtig?
In diesem Punkt urteilte der EuGH ganz klar falsch!
Wir haben bereits über das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 07.12.2017 (Az. 5 S 103/17) berichtet, wonach die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch einen Fremdkörper auf der Start- und Landebahn keinen außergewöhnlichen Umstand i. S. d. Art 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-VO darstellt und dem Passagier dementsprechend eine Entschädigung wegen einer hierdurch entstandenen Verspätung zusteht.
Dem EuGH (C‑501/17) wurde nun vom Landgericht Köln ein vergleichbarer Fall vorgelegt.
Ein Passagier forderte von der Fluggesellschaft Germanwings eine Entschädigung nach der europäischen Fluggastrechteverordnung, nachdem sich sein Flug von Dublin nach Düsseldorf um mehr als drei Stunden verspätet hatte. Grund für die Verspätung war eine Schraube, die in Dublin auf dem Rollfeld lag und den Reifen des Flugzeugs beschädigt hatte. Wegen der erforderlichen Reparatur konnte das Flugzeug erst mit einer deutlichen Verspätung starten. Die Airline „Germanwings“ verwies – wie Airlines dies stets gerne versuchen – auf „außergewöhnliche Umstände“, was zur Folge hat, dass eine Entschädigungspflicht der Airline entfällt. Der Passagier klagte daher bei dem vorliegend zuständigen Amtsgericht Köln. Das Amtsgericht Köln entschied – wie auch das oben zitierte Landgericht Stuttgart – zugunsten des Klägers. Einen außergewöhnlichen Umstand sah das Amtsgericht Köln jedoch nicht. Eine mögliche Beschädigung eines Flugzeugs auf dem Rollfeld gehöre zu den Risiken des normalen Flugbetriebs und sei deshalb kein außergewöhnlicher, sondern ein beherrschbarer Umstand. Germanwings legte Berufung ein. Das nunmehr mit dem Verfahren befasste Landgericht Köln legte die Frage, ob die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch einen Fremdkörper auf dem Rollfeld eines Flughafens ein „außergewöhnlicher Umstand“ sei, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Entscheidung vor.
Der EuGH beantwortete die Frage nun überraschend dahingehend, dass hierbei ein außergewöhnlicher Umstand vorliege. Zusammengefasst ist der EuGH der Ansicht, dass die Beschädigung mit einem „Fremdkörper“ wie dem einer Schraube nicht als untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden angesehen werden kann. Nach Ansicht des EuGH trägt damit die Airline nicht die Verantwortung für eine Schraube auf dem Rollfeld.
Die Begründung des EuGH ist jedoch falsch. Tatsächlich handelt es sich bei einer Schraube um keinen „Fremdkörper“, der keinen untrennbaren Zusammenhang mit dem Betrieb eines Flugzeugs hat. Der EuGH hat die entscheidenden Erwägungsgründe Nr. 14 und 15 der Fluggastrechte-VO falsch ausgelegt. Grundsätzlich sind die Tatbestandmerkmale für außergewöhnliche Umstände, die zu einem Entfallen der Entschädigung führen, eng auszulegen, um für die Passagiere ein hohes Schutzniveau sicherzustellen. In früheren Entscheidungen stellte der EuGH – z. B. bei der Beschädigung eines Flugzeugs durch die Kollision mit einem Treppenfahrzeug auf dem Rollfeld – darauf ab, ob die schädigende Ursache – in diesem Fall das Treppenfahrzeug – bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt wird, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben (EuGH – Siewert/Condor, Urteil vom 14.11.2014, Rs. C-394/14). Ebenso hat auch der BGH auf dieser Grundlage entschieden, dass für die Kollision mit einem Gepäckwagen nichts anderes gelte, denn auch ein solcher werde bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt. Ein Luftfahrtunternehmen sei deshalb in vergleichbarer Weise regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus dem Einsatz solcher Fahrzeuge ergeben (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2016 – X ZR 75/15).
Dies auf den vorliegenden Fall gemünzt bedeutet, dass der Umstand „Schraube auf dem Rollfeld“ zunächst mit den in den Erwägungsgründen (14) und (15) genannten Vorkommnissen wie beispielsweise politische Instabilität, terroristische Handlungen, Vulkanausbrüche oder Wetterbedingungen, welche Paradebeispiele für außergewöhnliche Umstände sind, nicht zu vergleichen ist. Bei der Beschädigung eines Flugzeugreifens durch einen Fremdkörper auf dem Rollfeld liegt nämlich noch eine untrennbare Verbundenheit mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs vor. Denn naturgemäß müssen Flugzeuge das Rollfeld ebenso wie zahlreiche andere Fahrzeuge, die zum allgemeinen Betrieb an einem Flughafen eingesetzt werden müssen, nutzen. Luftfahrtunternehmen sind deshalb regelmäßig mit Situationen konfrontiert, die sich aus der Benutzung des Rollfelds oder auch der Start- und Landebahnen ergeben. Dass sich auf diesen Fremdkörper befinden, dürfte nicht selten der Fall sein, weshalb Flughafenbetreiber das Rollfeld sowie die Start- und Landebahnen regelmäßig reinigen müssen. Die Verschmutzung ist daher ein Umstand, den Luftfahrtunternehmen bei deren notwendigen Benutzung des Rollfeldes üblicherweise hinnehmen müssen. Das Vorhandensein von Fremdkörpern auf diesem ist folglich – vergleichbar der Benutzung von Treppenfahrzeugen oder Gepäckwägen – untrennbar mit dem System zum Betrieb eines Flugzeuges verbunden.
Dass der EuGH mit seiner neuesten Ansicht zu der Problematik „außergewöhnlicher Umstand“ seine bisherige sehr verbraucherfreundliche Rechtsprechung eingeschränkt hat (zudem mit einer falschen Begründung!), ist aus Sicht der Passagiere bedauerlich. Insbesondere dürften sich Airlines ermutigt sehen, wieder häufiger auf das Pferd „außergewöhnlicher Umstand“ zu setzen, um Ansprüchen von Reisenden abzuwehren.
Sollten Sie von einer Flugverspätung oder Flugannullierung betroffen sein, so kontaktieren Sie uns! Herr Rechtsanwalt Michael Gabler ist spezialisiert auf Flugentschädigungen und Reiserecht und hilft Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche gegen die Airline.
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