Was genau sind Anwaltspflichten?
Eine Rechtsprechungsübersicht des BGH – Teil 2
Teil 2 unserer Reihe der Anwaltspflichten und wie er hieraus haften kann.
Den ersten Teil finden Sie hier.
Wichtig für die Frage nach einem möglichen Schadensersatzanspruch sind die Hauptpflichten des Rechtsanwalts. Dies ist zum einen die Sachverhaltsaufklärung und zum anderen die Rechtsprüfung.
In der Sachverhaltsaufklärung muss sich der Anwalt einen Überblick über den Sachverhalt verschaffen. Dabei ist das, was der Mandant vorträgt, oftmals nicht ausreichend um diesen gebührend zu würdigen. Wenn dies der Fall ist, muss der Anwalt aktiv nachfragen. Er darf sich bspw. nicht damit begnügen, falls der Mandant erklärt, er sei „Besitzer“ einer Sache. Hier muss der Anwalt den Mandanten über den Unterschied von Besitz und Eigentum aufklären. So führt der BGH mit Urteil vom 14.02.2019, Az.: IX ZR 181/17 aus:
„Ist der mitgeteilte Sachverhalt unklar oder unvollständig, darf der Rechtsanwalt sich nicht mit der rechtlichen Würdigung des ihm Vorgetragenen begnügen, sondern muss sich bemühen, durch Befragung des Ratsuchenden ein möglichst vollständiges und objektives Bild der Sachlage zu gewinnen (BGH, NJW 1961, 601 [602]; NJW 1998, 2048 [2049]; NJW-RR 2006, 923 Rn. 22 mwN)“
Auch kommt es bei der Berechnung der Verjährungsfrist gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf die Kenntnis bzw. die grob fahrlässige Unkenntnis des Rechtsanwalts im laufenden Mandat an. Hätte der Anwalt also zwingend erkennen müssen, dass ein Ereignis eingetreten ist, so ist dessen grob fahrlässige Unkenntnis auch dem Mandanten als Wissensvertreter nach Treu und Glauben zuzurechnen (BGH, Urteil vom 26.5.2020, Az.: VI ZR 186/17).
Im Ergebnis muss sich der Anwalt nach der Rechtsprechung des BGH aktiv selbst um Informationen bemühen, wenn er erkennt, dass die vom Mandanten nicht ausreichend sein könnten.
Neben der Sachverhaltsaufklärung ist die Rechtsprüfung DIE zentrale Aufgabe der Anwalts. Diese kann er jedoch erst durchführen, wenn er den Sachverhalt richtig und vollumfänglich aufgenommen hat. Und selbst dann ist diese für ihn nahezu unerfüllbar. Der BGH führt hierzu recht simpel aus:
„Die Möglichkeit einer Änderung der BGH-Rechtsprechung – auch wenn sie langjährig vom zuständigen Fachsenat geübt, von der Literatur geteilt sowie vom Gesetzgeber als ,herrschende Meinung‘ referiert wird, ohne zu der entsprechenden Rechtsfrage einen gestalterischen eigenen Willen zu bekunden – muss der Rechtsanwalt stets in Betracht ziehen und seine Revisionsbegründung dementsprechend abfassen (…).“
Oder vereinfacht gesagt: Der Anwalt muss schlauer sein als alle anderen und mit seiner Glaskugel auch ins Kalkül ziehen, dass Literatur und Rechtsprechung ihre Meinung einmal ändern könnten. Ob dies der BGH mit seinem Leitsatz ausdrücken wollte, weiß wohl nur er. Fest steht damit jedoch, dass die Hürden für die Haftung des Rechtsanwalts niedrig sind.
Nachdem der Rechtsanwalt die Sachverhaltsaufklärung betrieben und den Mandanten zum konkreten rechtlichen Problem beraten hat, erfolgt das Tätigwerden des Anwalts. So umfasst dies natürlich ein außergerichtliches Aufforderungsschreiben, im Falle der Erfolglosigkeit die Einreichung einer Klageschrift, eine Berufungsbegründung und die Zwangsvollstreckung.
Für jeden dieser Bereiche ist es elementar wichtig, dass der Anwalt seine Fristen unter Kontrolle hat. Für die Fristeinhaltung ist der Anwalt selbst zuständig, wenn ihm die Akte zur Bearbeitung vorgelegt wird. Dies hat betont der BGH in ständiger Rechtsprechung:
„Sind die Akten nach ihrer Vorlage innerhalb der Berufungsbegründungsfrist im Arbeitszimmer des Anwalts geblieben, so besteht, wenn nicht im Einzelfalle besondere Gründe für eine andere Beurteilung dargetan werden können, nicht die geringste Veranlassung, dem Anwalt die Verantwortung für die Einhaltung der Frist abzunehmen. Es ist auch von einem vielbeschäftigten Anwalt zu verlangen, dass die ihm zur Bearbeitung vorgelegte Sache fristgerecht bearbeitet wird.“
Interessant wird die Frage jedoch, wenn der Anwalt (rein) digital arbeitet. Dann wäre es nicht mehr möglich, dass diese in sein Arbeitszimmer „gelegt“ wird und hierdurch dem Anwalt im Sichtfeld bleibt. Der BGH löst dies unter Verweis auf § 50 Abs. 4 BRAO. Führt also der Anwalt eine digitale Akte, so gelten dennoch die gleichen Voraussetzungen wie bei einer analogen Kanzleiführung. Er muss also selbst dafür Sorge tragen, dass die Akte vom Sekretariat weiter bearbeitet und ihm ggf. nochmals (rechtzeitig) vorgelegt wird. So führt der BGH hierzu aus:
„Will sich der Rechtsanwalt der Verantwortung für die Einhaltung der Frist erneut entledigen, muss er durch geeignete Maßnahmen der Gefahr vorbeugen, der mit der Fristenkontrolle betraute Mitarbeiter könne (irrtümlich) annehmen, der Anwalt habe die Frist selbst im Blick (…).“
Was jedoch, wenn der Anwalt sehr fortschrittlich ist und für die Bearbeitung seiner Fälle Legal Tech einsetzt? Auch hier verlangt der BGH, dass der Anwalt seine Fristen selbst unter Kontrolle hat.
Hier bringt es der BGH in seinem Urteil vom 25.08.2020, Az.: VI ZB 67/19 auf den Punkt:
„Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 – VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 – VI ZB 54/19 aaO Rn. 6 mwN). Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird (vgl. Senatsurteil vom 22. November 2011 – VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 6 mwN; BGH, Urteil vom 4. Juli 2013 – III ZR 52/12, NJW-RR 2014, 492 Rn. 56 mwN).“
Was für Rechtsanwälte und den BGH normal ist, stellt bei automatisierten Massenverfahren mit Legal Tech (wie dem Abgasskandal oder Fluggastrechten) eine hohe Hürde dar: Die Berufungsbegründung muss auf den Einzelfall zugeschnitten sein. Leistet dies der Anwalt nicht, läuft er Gefahr einen Haftungsfall zu erleiden.
In diesem Kontext sind auch die Rechtsbehelfsbelehrungen vom Gericht zu nennen. Grundsätzlich darf eine Partei auf die Richtigkeit derer vertrauen – nicht aber der Anwalt. Er ist aufgrund seiner Rechtskenntnis selbst verpflichtet, diese zu überprüfen.
Fortsetzung folgt
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